Gero Hocker: Proteste der Landwirte: Es geht nicht nur ums Geld, sondern vor allem um Fairness

Zu der Unzufriedenheit aus der Landwirtschaft und den daraus resultierenden Protesten, erklärt der stellvertretende Landesvorsitzende der FDP Niedersachsen und Sprecher für Ernährung, Landwirtschaft, Verbraucherschutz und regionale Entwicklung, Dr. Gero Hocker MdB:

Dr. Gero Hocker MdB

Mit deutschlandweiten Demonstrationen erzeugten Landwirte Anfang des neuen Jahres mit tausenden von Treckern Aufmerksamkeit. Mit hupenden und blinkenden Kolonnen machten sie ihrem Ärger Luft, manch Straße, Zufahrt und Tunnel wurde zeitweise blockiert. Die Demonstrationen der Landwirte richteten sich ursprünglich gegen die Abschaffung der sogenannten „grünen Kennzeichen“, die die Steuerbefreiung für landwirtschaftliche Fahrzeuge ausdrücken und gegen die Streichung der Steuererstattung für Diesel, der im landwirtschaftlichen Bereich getankt wird. Mittlerweile bleiben die grünen Kennzeichen erhalten und die Belastungen beim Agrardiesel wurden moderat umgestaltet. Es ist ein Erfolg, dass Demonstrationen so unmittelbar Einfluss auf aktuelle politische Projekte nehmen können. Bei Düngeverordnung und Insektenschutzgesetz ist dies 2019 noch anders gewesen. 

Die Demonstrationen gegen Agrardiesel und grüne Kennzeichen sind mittlerweile zu Symbolen für die Unzufriedenheit mit der Agrarpolitik der vergangenen Jahrzehnte geworden. Mittlerweile geht es Vielen um die Frage, was wirklich Aufgabe des Staates ist und wofür er seine Ressourcen einsetzen soll– und wofür nicht. 

Bei den Demonstrationen bricht sich etwas Bahn, was sich seit vielen Jahren aufgestaut hat und weit über Fragen von Landwirtschaftspolitik hinaus geht. Viele Menschen in unserem Lande haben den Eindruck, dass sie tagein tagaus den „Laden am Laufen“ halten, ohne dass dies honoriert würde, und andere dagegen, die weniger oder gar nichts leisten, zu hoch alimentiert werden. Zahlreiche Menschen nehmen wahr, dass Politik die seit Jahren brennenden Probleme unseres Landes nicht gelöst hat, dass die Zuwanderungspolitik in den Arbeitsmarkt statt in den Sozialstaat seit Jahrzehnten nicht funktioniert, dass zwar unsere Autobahnen und Bahnstrecken marode sind, aber gleichzeitig Entwicklungshilfe an Länder gezahlt wird, die Deutschland technologisch teilweise überflügelt haben. 

Mit einer Mischung aus Naivität und falscher Toleranz hat Politik über Jahrzehnte nicht darauf geachtet, wer genau sich auf den Weg in unser Land gemacht hat und mittlerweile aus vielen Fällen kaum mehr in seine Heimat zurückgeschickt werden kann. Gleichzeitig sprießen Mittel für die steigenden Zahlen an Beamten in Ministerien und Verwaltung in den Himmel und die Politik diskutiert mit großer Verve eine sogenannte staatliche „Ernährungsstrategie“ oder Werbeverbote für Süßigkeiten.

Unser Staat ist teilweise  dysfunktional geworden, weil er sich seit Jahrzehnten in Gesellschaftsbereichen breit gemacht, die zu regeln nicht seine Aufgabe ist. Gleichzeitig versagt er bei der Erfüllung seiner ureigenen Aufgaben und grundlegenden Pflichten. Dabei hat er kein Einnahme- sondern ein Ausgabeproblem. Nie zuvor waren die Steuereinnahmen höher, doch nie zuvor hatte man trotzdem den Eindruck, dass unser Gemeinwesen weniger in der Lage gewesen ist, seine ureigensten Aufgaben zu lösen. Über Jahrzehnte wurde die Bundeswehr kaputtgespart und die Landesverteidigung vernachlässigt, weil man der Überzeugung war, vollständig von Freunden umgeben zu sein. Ideologie hat dazu geführt, dass über viele Jahre Verkehrswege und das Schienennetz nicht saniert und erneuert wurden, ganz zu schweigen von den Versäumnissen bei digitaler Infrastruktur, vor allem auf dem Lande. Das spüren vor allem Menschen, die mit ihrer Existenz unmittelbar von politischen Entscheidungen abhängen, wie Landwirte, Handwerker, zahlreiche Mittelständler... Viele davon solidieren sich auf den Demonstrationen mit den Landwirten. 

Will Politik bei weiten Teilen der Gesellschaft Glaubwürdigkeit zurückgewinnen, muss sie transparent und offen diskutieren, was die tatsächlichen Erwartungen an unser Gemeinwesen sind, was Aufgabe des Staates ist, aber vor allem: was nicht! Welche Aufgaben ausgerümpelt werden können, und welche Maßnahmen welche Priorität besitzen. Dies täte unserem Land gut - und könnte einen erheblichen Teil des aktuell auf der Straße artikuliert Frust in konstruktive Bahnen lenken.

Was jedenfalls nicht zur konstruktiven Aufarbeitung der bestehenden Probleme beiträgt, ist der Versuch, diese Menschen pauschal in eine politisch extremistische Ecke zu stellen. Politik muss diesem Versuch widerstehen, auch, wenn dieser Reflex zunächst vielleicht verlockend erscheint, um sich mit möglicherweise berechtigter Kritik nicht auseinandersetzen zu müssen!